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Blackout – die Wahrscheinlichkeit wächst, aber bisher herrscht Ruhe vor dem Sturm

Die Zukunft der Energieversorgung ist eine Kernfrage in den Koalitionsverhandlungen. Experten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen warnen vor einem Blackout. Bisher allerdings ist das Gegenteil eingetreten: Stromausfälle werden immer seltener.

Es ist der 8. Januar 2021, Deutschland steckt tief in der Pandemie, die Skiurlaube über den Jahreswechsel sind flachgefallen, und dass die Arbeit wieder beginnt, merken die meisten Menschen zwischen Flensburg und Garmisch-Patenkirchen nur daran, dass die morgendliche Videokonferenz am Küchentisch wieder aufflackert. Um genau 13.04 Uhr kommt es in Österreich zu einem starken Frequenzabfall im Stromnetz infolge eines Kraftwerkausfalls in Rumänien. Der Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber ruft die dritte von vier Warnstufen aus. Beim niederösterreichischen Stromversorger EVN melden sich Großkunden, weil sensible Maschinen die Frequenzabsenkung bereits gespürt haben, berichtet ein EVN-Sprecher. „Wenn die Schwankungen zu hoch sind, schalten sich Maschinen aus Selbstschutz ab.” Das kann auch bei Kraftwerken passieren, und dann wird es kritisch. Dann wird aus einem Ausfall eine Kettenreaktion und in Europa gehen nicht nur die Lichter aus.

Alles hängt vom Strom ab. Fiele er ein paar Tage über mehrere Länder hinweg aus, kämen die Menschen schnell an ihre Grenzen, weil „zum Beispiel die Trinkwasserversorgung zusammenbrechen würde und die Versorgung auch mit Dieselkraftstoff für die Notstromaggregate problematisch werden würde“, sagt Wolfram Geier, Abteilungspräsident beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Ohne Strom gibt es kein Licht, keine Toiletten, keine Heizung, kein Telefon, keine Züge und Straßenbahnen, keine Supermarktkasse, keine Aufzüge. „Ab drei Tage aufwärts würden wir heute einschätzen, dass das zu katastrophalen Zuständen führen würde.“

Der 8. Januar bleibt keine Ausnahme. Noch einmal gibt es einen Beinahe-Blackout im Frühsommer. Insgesamt haben sich die Störungen im europäischen Stromnetz verzigfacht, ohne bisher allerdings zu spürbaren Stromausfällen zu führen. Schuld am schwankenden Zustand im Stromnetz ist auch Deutschland. Durch das schrittweise Abschalten der Kraftwerke, wie es auch Beschlusslage in den derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen den künftigen Regierungsparteien ist, hat sich das Risiko eines Blackouts deutlich erhöht. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in Bonn hat deswegen in seiner aktuellen Übersicht die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland eine durch einen Stromausfall verursachte Katastrophe eintritt, höher als jede andere Gefahr bewertet. Auch die Schäden bewerten die Bevölkerungsschützer höher als beispielsweise einer neuerlichen Pandemie oder von Regenfluten, wie sie im Hochsommer Westdeutschland heimsuchten. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag warnt seit Jahren vor einem Blackout: „Die Folgenanalysen haben gezeigt, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden.“

Verantwortlich dafür, dass das nicht passiert, ist ein internationales System, in dem sich 43 Unternehmen aus 36 Ländern zusammengeschlossen haben, um Schwankungen in Verbrauch und Erzeugung auszugleichen. Ein System, das die Stromversorgung normalerweise stabilisiert, in dem sich jedoch inzwischen lokale Störungen hochschaukeln und ausdehnen können, weil in der Energieversorgung kein Stein auf dem anderen geblieben ist.

Vor mehr als zwanzig Jahren, 1998, trat mit dem „Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftrechts“, eine Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft in Kraft. Vorher war der Strommarkt ein großer Markt voller regionaler Monopole gewesen: Ein einzelnes Unternehmen besaß und betrieb die gesamte Kette vom Kraftwerk bis zur Steckdose. Die Monopole wurden geknackt, langfristige Lieferverträge durch kurzfristige wettbewerbsorientierte Kontrakte abgelöst. Dazu kamen die erneuerbaren Energien. Sie änderten die Spielregeln grundsätzlich: Strom stammt nicht mehr aus wenigen großen Kraftwerken, sondern aus vielen Quellen, bis hinunter zum Windrad auf dem Feld und der Solaranlage auf dem Dach. Kraftwerke entstehen nicht mehr da, wo viele Menschen Strom brauchen, sondern da, wo die Sonne öfter scheint oder der Wind regelmäßig bläst. Windstrom aus dem Norden soll Nuklearstrom aus dem Süden ersetzen. Viel mehr Energie muss immer weiter transportiert werden, aber der Bau der dafür notwendigen Leitungen verzögert sich, wegen Protesten vor Ort. So sollte eine dieser Leitungen, das Ultranet in Baden-Württemberg 2019 in Betrieb gehen. Jetzt ist von 2024 die Rede. Außerdem: Die Stromerzeugung schwankt. Manchmal herrscht Dunkelflaute, dann kommt nichts aus erneuerbaren Energien. 2021 war das bisher oft so und ausgerechnet Kohle wurde hierzulande wieder der wichtigste Energieträger.

Skeptiker fürchten längst, dass das europäische Stromnetz mit dem weiteren Ausbau des Ökostroms an Stabilität verlieren könnte, weil sich das schwankende Angebot immer stärker auf das Stromnetz auswirkt. Gerhard Scharphüser, Vizepräsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, sagt in einem Rundfunkinterview: „Wir sind nicht mehr in der Struktur, dass wir einige wenige große Energieerzeuger haben, sondern ein Großteil der Bevölkerung ist Energieerzeuger mit Solaranlagen auf dem Dach und den Rückspeisungen an anderer Stelle. Und ein Energienetz muss sehr stabil gesteuert werden, da kann nicht jeder einfach reinstreuen und neuen Strom hinzufügen, das wird zu Instabilitäten führen. Das heißt, wir brauchen ein sehr feingranulares Steuerungssystem.“ Er fügt hinzu: Durch die zunehmende Digitalisierung und die Energiewende biete das Energienetz eine größere Angriffsfläche.

Was durch solche Aktionen passieren kann, belegen Cyber-Angriffe von 2015 und 2016 auf die Ukraine. Hacker hatten sich über gefälschte E-Mails mit dem Absender des ukrainischen Parlaments in die Netzwerke dreier Energieversorger geschlichen und die Steuerungselektronik gekapert. Hilflos musste das Personal in den Leitwarten zusehen, wie die Eindringlinge die Stromversorgung für weite Teile Kiews abstellten.

Die Energiewende, die nur mit langen Transportwege und einer gut abgestimmten IT funktioniert macht Europa also anfälliger für Blackouts. Dazu kommt aktuell die Sorge vor Lieferengpässen im Strom- und Gasbereich. In Großbritannien haben bereits massiv angestiegene Gaspreise eine Reihe von Energieanbietern zum Aufgeben gezwungen, weil sie die um 70 Prozent in die Höhe geschnellten Einkaufspreise durch eine gesetzliche Gaspreisdeckelung nicht weitergeben können. Der britische Wirtschaftsminister bereitet die Verbraucher auf Engpässe im Winter vor.

In Deutschland sehen Versorger und Politik das Thema ebenfalls kommen. Bereits in diesem Januar unter dem Eindruck des Beinahe-Blackouts hatte das Wirtschaftsministerium unter Minister Peter Altmaier (CDU) einen Gesetzesentwurf zur „Spitzenglättung“ vorbereitet. Hinter dem merkwürdigen Wortkonstrukt steckte, was auch die Briten jetzt vorhaben: Wenn es eng wird beim Strom, sollen große Verbraucher Wie E-Autos und Wärmepumpen zeitweise keinen Strom erhalten. Wer sein E-Mobil an der heimischen Ladestation „auftanken“ will, schaut dann zu den Hochlastzeiten in die Röhre. In Großbritannien wird dieser Plan jetzt aller Voraussicht ab nächstem Frühjahr Wirklichkeit. In Deutschland scheiterte Altmeiers Ministerium unter anderem am Widerstand der Autohersteller, die um den Verkauf ihrer funkelnagelneuen E-Mobile fürchten.

Sie konnten auf eines verweisen: Trotz aller Schwarzmalerei, erhöhten Risiken und Warnstufen - bisher ist alles weitgehend gutgegangen. Stromausfälle in Deutschland haben nach Angaben der Bundesnetzagentur abgenommen. 2020 bekam jeder Haushalt und jedes Unternehmen im Schnitt rund 10,73 Minuten lang keinen Strom. Bundesweit war die Dauer der sogenannten Versorgungsunterbrechungen damit um 1,47 Minuten kürzer als im Vorjahr. Das sei der niedrigste Wert seit der ersten Veröffentlichung der Zahlen im Jahr 2006. Damals summierten sich die Stromunterbrechungen im Schnitt auf etwa 21,53 Minuten. Der Präsident der Netzagentur, Jochen Homann, lobt deswegen „die Zuverlässigkeit der Stromversorgung. Die Energiewende und der steigende Anteil dezentraler Erzeugungsleistung haben weiterhin keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungsqualität."

Oliver Stock

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06.10.2021 | 15:37

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